Vergangene Veranstaltungen

Arbeit ohne Wachstum

Am 1. Juni 2017 versammelten sich im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer Bremen Menschen, die an dem Thema „Arbeit ohne Wachstum? - Degrowth und Arbeitszeit“ interessiert sind, zu einer öffentlichen Vortrags- und Diskussionsrunde. Es erwartete sie ein spannender Abend mit den beiden für dieses Thema ausgewählten Expert*innen Prof. Dr. Adelheid Biesecker und Dr. Norbert Reuter. Moderiert wurde die Veranstaltung von einer weiteren Spezialistin auf diesem Gebiet Prof. Dr. Beate Zimpelmann von der Hochschule Bremen.
Der Abend stellte den Auftakt für die von der Hochschule Bremen, der Arbeitnehmerkammer Bremen und denkhausbremen e.V. getragene Veranstaltungsreihe dar, welche sich an drei Abenden mit der Postwachstumsdebatte unter den Gesichtspunkten Arbeitszeit, Digitalisierung und Mobilität beschäftigten wird. Hierbei sollen die unterschiedlichen Akteure der Themenfelder zum intensiven Austausch untereinander angeregt werden. Die Frage, welche an diesem Termin im Mittelpunkt der Diskussion stand war, die nach den möglichen Potentialen einer konsequenten Umverteilung der vorhandenen Arbeitszeit.
Die Veranstaltung begann am frühen Abend mit einem Vortrag von Prof. Dr. Biesecker, Postwachstumsexpertin und emer. Ökonomieprofessorin der Uni Bremen. Sie erläuterte darin, warum aus ihrer Sicht eine umfassende Umverteilung und Verkürzung der vorhandenen Arbeitszeit dringend notwendig sei.
Biesecker eröffnete ihren Beitrag mit der These „Wir haben keine Zeit mehr für so lange Erwerbsarbeitszeiten!“ und stellte direkt klar, dass in ihren Augen die sorgende Arbeit Priorität habe, wenn es um eine Umverteilung der Arbeitszeit geht. Hierbei ist es eines ihrer erklärten Ziele, dass die immer noch größtenteils weiblich konnotierte Sorgearbeit ihre geschlechtliche Zuordnung verliert.
Eine weitere Forderung Bieseckers war, dass im Sinne der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit Zeit zyklisch gesehen werden müsse und nicht mehr linear, wie es bis dato der Fall ist. Dieser Punkt steht im Einklang mit ihrer Forderung mit der Natur zu „kooperieren“ statt mit ihr zu „konkurrieren“. Durch eine Umstellung auf zyklische Zeiten sei es beispielsweise im Fischfang einfacher möglich, diesen ressourcenschonend umzusetzen und eine Überfischung zu verhindern. Sie sprach hierbei auch von einem Synchronisieren verschiedener Zeitlichkeiten und verwies auf Barbara Adams‘ Konzept der „Timescapes“, welches sich kritisch mit der 24-Stunden-Gesellschaft auseinandersetzt. Biesecker forderte eine Transformation des im Westen vorherrschenden Wirtschaftsmodells der Marktökonomie hin zu einer sogenannten „Sorgeökonomie“, in welcher transparent gemacht wird, in welchem Umfang die Vollbringung unbezahlter Sorgearbeit (das heißt Pflege und Betreuung zum Beispiel von Kindern, kranken, alten und behinderten Menschen) von der Marktökonomie vorausgesetzt wird. Hierbei geht es auch darum offenzulegen, von wem diese Leistungen erbracht werden, denn für diese unbezahlte Arbeit sind immer noch hauptsächlich Frauen zuständig. Für ihre Forderung nach einer Orientierung am Konzept des Guten Lebens und einer Synchronisierung verschiedener Zeitlichkeiten nannte Biesecker drei für sie besonders
relevante Schritte auf dem Weg zu dieser Transformation: Wahlarbeitszeiten, Arbeitszeitkonten und Sabbaticals. Ihr geht es hierbei darum, Arbeitszeiten flexibler zu gestalten und die Arbeitszeit gleichmäßiger unter allen Arbeitswilligen zu verteilen. Im Zuge dessen solle die Sorgearbeit aufgewertet und letztendlich als reguläre Arbeit anerkannt und vergütet werden. Hierzu seien ein Ausbau der sozialen Infrastruktur und der Mut zur Umsetzung neuer Konzepte und Experimentierfreudigkeit notwendig, um beispielsweise Alternativen wie das emanzipative Grundeinkommen oder die Möglichkeit für Subsistenz zu
ermöglichen. Überleitend zum Vortrag von Dr. Reuter ging Biesecker noch auf die Rolle der Gewerkschaften in ihrem Konzept ein. Sie bemängelte, dass diese immer noch zu sehr auf Erwerbsarbeit fixiert seien, aber sie helfen ihrer Meinung nach dabei alternative Arbeitszeitmodelle durchzusetzen. Sie forderte abschließend von den Gewerkschaften, sich
stärker auf die Suche nach Alternativen für nicht nachhaltige Berufe zu konzentrieren, da in diesem Bereich ein Kulturkampf herrsche, der nicht zielführend sei. Dieses abschließende Statement bildete die Einleitung für den Vortrag von Dr. Reuter,
Bereichsleiter für Tarifpolitik beim ver.di Bundesvorstand und Mitglied der Enquete Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität.
Er eröffnete seinen Vortrag mit der These „Gutes Leben braucht Zeit!“. Lebenszeit werde immer wichtiger und viele Menschen seien bereit auf Einkommen und Gehaltserhöhungen zu verzichten, wenn sie stattdessen mehr frei verfügbare Zeit hätten. Das Argument der durch eine Wirtschaft ohne Wachstumszwang drohenden Massenarbeitslosigkeit, das häufig von Gegnern der Postwachstumsbewegung angeführt werde, habe seiner Meinung nach, an Schlagkraft verloren. Für ihn stelle ein weiteres Wachstum der Wirtschaft keine Alternative dar. Als Stütze für sein Argument führt er das
sogenannte „magische Dreieck“ der Nachhaltigkeit an, an dessen drei Ecken die soziale, die ökologische und die ökonomische Nachhaltigkeit stehen. Das Problem hierbei sei, je mehr man in eine der drei Richtungen strebe, desto mehr vernachlässige man die anderen beiden Ecken. In der Vergangenheit habe die Politik zu häufig zugunsten der ökonomischen
Nachhaltigkeit gehandelt. Eine weitere These Reuters lautete, dass durch die zunehmende Digitalisierung der Druck auf
die Beschäftigten immer weiter wachse und somit die Work-Life-Balance immer mehr ins Wanken gerate. Dadurch komme es zu einer Zunahme stressbedingter psychischer Krankheiten wie Burnouts. Ausgehend von diesen Problemen, welche durch die bisherige Arbeitszeitpolitik mit verursacht worden seien, stellte Reuter ver.dis neues arbeitszeitpolitisches Konzept „Mehr Zeit für mich“ vor. Hierin gibt es zwei neue Möglichkeiten für Arbeitsnehmer mehr freie Tage anstatt mehr Geld zu bekommen: die „Verfügungstage“ und die „Freizeitoption“. Verfügungstage sind zusätzliche freie Tage mit vollem Lohnausgleich, während Freizeitoption bedeutet, dass ausgehandelte Tariferhöhungen auch in Form einer verkürzten
Arbeitszeit in Anspruch genommen werden können. Nach dem Vortrag von Reuter leitete Prof. Dr. Zimpelmann zur Diskussion über und forderte die Diskutanten auf, konkrete Schritte in Richtung einer neuen Arbeitszeitpolitik zu benennen.
Reuter betonte zunächst, dass die Gewerkschaften keine einheitliche Masse seien und dass das Arbeitszeitkonzept ver.dis als positives Vorbild dastehe. Seiner Meinung nach sei die Verteilungsfrage hierbei zentral, bezogen auf Einkommen und Arbeitszeit gleichermaßen. Er betonte, dass die Lösung dieses Problems eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, denn die
Verteilungsungleichheit sei groß. Hierzu sei ein Wandel der gesellschaftlichen Einstellung im Bezug auf Arbeit und Arbeitszeit notwendig. Biesecker führte an, dass zunächst zusätzliche freie Tage für die Sorgearbeit zur Verfügung
stehen müssten, damit die alten konservativen Strukturen des Arbeitsmarktes durchbrochen werden könnten. Nach diesen Eingangsstatements wurden verschiedene Fragen aus dem Publikum beantwortet. Biesecker ging im Zuge dessen darauf ein, dass der Begriff „Produktivität“ ein falscher Ausgangspunkt sei, gerade im Hinblick auf den Pflegesektor sei nämlich fraglich, wie hier Produktivität gemessen werden solle. Sie plädierte deshalb für gesellschaftliche Lösungen solcher nicht linearen Probleme. Es müsse ihrer Meinung nach einen Kulturkampf geben, der zu einem nicht-kapitalistischen Wirtschaftssystem führe, erst dann sei das Gute Leben möglich und dieses müsse von Gesellschaft und Politik infrastrukturell und institutionell gestützt werden. Reuter führte an, dass seiner Meinung nach die Endphase des Kapitalismus bereits erreicht sei. Es könne eine Wirtschaft ohne Wachstum geben, denn dieses sei kein Zwang. Er begründete seine Thesen damit, dass Kapital bereits keine Rendite mehr abwerfe und sagte, dass die Wirtschaft reguliert und demokratisiert werden müsse. Es müsse innerhalb der Bevölkerung Aufklärung und Bildung zu den Themen soziale Gerechtigkeit und Ökologie geben, denn diese seien in der Vergangenheit vernachlässigt worden. Biesecker ließ die Forderung nach einem radikalen Perspektivenwechsel verlauten. Man müsse sich an einem Leben mit der Natur orientieren und die Sorgearbeit als zentrale Aufgabe sehen, danach könne man dann schauen, wie viel Zeit letztlich noch für Erwerbsarbeit bleibe. Reuter hingegen sieht einen solch radikalen Umschwung pessimistisch. Seiner Meinung nach
seien aufgrund der Machtverhältnisse nur kleine Schritte in Richtung eines Bewusstseinswandels möglich. Dennoch sei ein restriktives Eingreifen notwendig, denn das demokratische System sei zu träge, um sich schnell genug zu wandeln. Reuter plädierte für eine 30-Stunden-Woche mit gestaffeltem Lohnausgleich. Das Problem hierbei sei allerdings, dass beispielsweise Arbeitnehmer in Teilzeit länger arbeiten wollten und die Umsetzung des Konzepts insgesamt schwierig sei. Seiner Meinung nach sei auch ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Kohle möglich, man müsse nur die Probleme im Einzelnen betrachten und dann Schritt für Schritt lösen. Das Abschlusswort hatte Biesecker. Sie betonte, sie sei eine konkrete Utopistin und dass sie Hoffnung auf eine bessere Zukunft habe. Ihrer Meinung nach ist die Auseinandersetzung mit der globalen Frage notwendig und man müsse anfangen zu Handeln, denn die Menschheit befindet sich mitten in der Klimakrise. Es müsse ein anderes Menschenbild entstehen, das jeden Menschen gleich wertschätzt. Allerdings müsse sich zuallererst die Gesellschaft an sich ändern, was wiederum eine Machtfrage sei und somit vorerst ungewiss. Im Anschluss an die gut besuchte Veranstaltung gab es die Möglichkeit, sich mit den Referent*innen auszutauschen, welche von vielen interessierten Besuchern ausgiebig genutzt wurde, es war ein gelungener Abend, der zum Nachdenken angeregt hat.